ATP Physio aus Hamburg

Yannik Lambrecht

Yannick Lambrecht vor seiner Praxis mit Blick auf die Alster. In der Hand den von vielen Amateursportlern gefürchteten Medizinball.

In der Umkleidekabine, speziell bei Seniorenpunktspielen, hat man den Eindruck, sich teilweise im medizinischen Versuchslabor zu befinden. Da wird gesalbt, einmassiert, gewickelt, getapt, bandagiert und gelbe, weiße, grüne und blaue Pillen geschluckt, was die aus langjähriger Erfahrung zusammengestellte Senioren-Tasche hergibt. Diagnosen und Therapien werden jedem, der es nicht hören will, sich aber dummerweise gerade in der Nähe befindet, langatmig mit auf den Weg gegeben. Tennisspieler sind zu 99 % Simulanten, wenn es darum geht, den Gegner in Sicherheit zu wiegen und ihn dann auf dem Platz gnadenlos vorzuführen, obwohl man ja eigentlich auf dem Weg zur OP gehört.

Ein paar Spielklassen höher greifen diese Psycho Spielchen weniger, oder können Sie sich vorstellen, dass ein Rafael Nadal vor dem Match Roger Federer vorflunkert, heute nicht richtig auf der Höhe zu sein. In dieser Liga wird vorgesorgt, und zuständig für die Gesundheit, Fitness und allgemeine Wohlbefindlichkeit sind die Physios. Viele Topspieler haben auf der ATP Tour ihren eigenen Physiotherapeuten dabei, obendrein gibt es 17 Physios, die von der ATP angestellt sind und abwechselnd mit auf der Tour reisen, einer von ihnen ist Yannick Lambrecht aus Hamburg.

Mit der Gründung von FUNCTIONAL MED Anfang 2014 verwirklichte Yannick seinen Traum von einer innovativen Betreuung von Patienten, bei der diese nicht nur von modernen Therapieformen profitieren, sondern auch von seinem internationalen Netzwerk von Fachärzten. Mittlerweile ist mit Niklas Johannink ein weiterer Sport Physiotherapeut dazu gekommen, der sich auf Knie- und Schulterverletzungen spezialisiert hat. Jan Canjé ergänzt das junge, dynamische Team osteopathisch.

Wir unterhielten uns mit Yannick Lambrecht nach seinem Einsatz bei den German Open.

Yannick, wie kommt man dazu, für die ATP als Physio zu arbeiten?

Yannick Lambrecht: Nach ein paar Jahren als Leiter der medizinischen Abteilung am Hamburger Rothenbaum mit Doktor Volker Carrero, lag die Entscheidung nahe, mich bei der ATP vorzustellen. Nach ausgiebigen Auswahlverfahren wurde ich 2014 in das Team von damals 12 Physiotherapeuten aufgenommen und arbeite seitdem 14 Turniere im Jahr weltweit.

Yannick bei einem Medical Time Out mit Mischa Zverev auf dem Center Court am Rothenbaum.

Hast du dann überhaupt noch Zeit für deine Patienten in Hamburg?

Ja natürlich. Ich bin so gut wie immer erreichbar und kann, wenn ich mal nicht vor Ort sein sollte, auf meine erfahrenen Kollegen in meiner Praxis zählen. Es ist alles eine Frage der Planung. Die Patienten profitieren von den vielen Reisen, da ich immer wieder mit neuen Ideen und Behandlungsansätzen meiner Kollegen inspiriert werde. Im Tennis muss es vor allem auf dem Platz häufig sehr schnell gehen. Ich genieße es, in meiner Praxis mir viel Zeit für die einzelnen Patienten nehmen zu können. Es geht in erster Linie darum, eine gründliche Untersuchung zu machen, um herauszufinden, wie wir am besten helfen können und wo das grundliegende Problem liegt. Wenn der Plan erst einmal steht, muss ich nicht zwangsläufig immer vor Ort sein.

Auf welchen Turnieren bist du bereits im Einsatz gewesen?

Eines meiner ersten Turniere war Quito in Equador in Südamerika auf 2800 Meter Höhe. Das erste Turnier bleibt einem natürlich gut in Erinnerung. Ich weiß noch, wie sehr ich außer Atem war bei meinem ersten Court Call und kaum mit dem Spieler sprechen konnte, da ich nach Luft japste. Neben den langen Tagen, die wir teilweise arbeiten (1,5 Stunden vor dem ersten Spiel bis lange nach dem letzten Spiel), sind wir natürlich bemüht, neben eigenen körperlichen Fitnesseinheiten am frühen Morgen, das Land bzw. die Stadt kennenzulernen. Tolle Ziele in letzter Zeit waren Chennai (Indien), Moskau (Russland), Bukarest (Rumänien), Acapulco (Mexiko), Budapest (Ungarn) oder Marrakesh (Marroko).

Yannick feiert zusammen mit dem ehemaligen HSV Kapitän Johan Djourou den Genfer Turnier Sieg von Stan Wawrinka (l.).

Betreiben die Profis viel Prophylaxe vor dem Match, indem sie dich konsultieren, oder kommst du erst zum Einsatz, wenn die Verletzung da ist?

Prävention ist im Tennis sehr groß geschrieben und wird auch über die Jahre des Spielens immer mehr. Momentan sind zirka 40 Spieler unserer Top100 über 30 Jahre, da ist es essentiell, vorbeugende Übungen täglich durchzuführen. Natürlich ist bei dieser Spitzenbelastung keiner vor Verletzungen geschützt. Von daher kommen wir sowohl präventiv mit aufwärmenden Mobilisierungen, Tapes oder gezielten Übungen, aber auch akut direkt auf dem Platz oder als Reha nach längeren Verletzungen zum Einsatz. Bei uns in der Functional Med Praxis bieten wir extra dafür Screenings an, wo wir genaue Bewegungs- und Körpermuster von Profi- oder Hobby-Spielern aller Sportarten analysieren, um rechtzeitig gezielt Dysfunktionen und Schonhaltungen entgegenwirken zu können oder um das Optimum aus den Spielern herauszuarbeiten.

Wie sieht ein Tagesablauf am Rothenbaum aus?

Die ATP schickt je nach Größe zwei bis vier ATP Physios zu den jeweiligen Turnieren.

Hamburg ist natürlich meine Ehrensache. Unser ATP Team ist hochqualifiziert und international ausgerichtet, somit sind meine Kollegen auch aus Amerika, Australien, Japan oder Portugal. Sie alle freuen sich in Hamburg an meiner Seite zu arbeiten, da es sich intern auch schon rumgesprochen hat, was für ein tolles Team wir hier in Hamburg haben. Die Tage sind alle sehr unterschiedlich: Sie beginnen aber alle 1,5 Stunden vor dem ersten Match, es kann aber sein, dass man mit einem Spieler schon vorher im Gym eine Reha Session durchführt. Dann kommen die Spieler wie in einer Praxis rein, nur dass sie keine festen Zeiten/Termine haben. Die Spieler, die als erstes spielen, haben natürlich Vorrang. Es kommt eine ganze Bandbreite von Therapiemethoden zum Einsatz. Orthopädische manuelle Therapie ist sicherlich die meist gebrauchte. Aber auch präventive Knöcheltapes oder fiese Fußnagelverletzungen, die versorgt werden müssen, gehören zum Alltag. Wenn sich ein Spieler akut auf dem Platz verletzt, werden wir per Funk auf den Platz geordert, wo wir nach kurzer Untersuchung drei Minuten Zeit haben, den Spieler wieder spielfähig zu bekommen.

Zusammen mit Physio Niklas Hennecke (2. v.l.) wurde Michael Stich (l.) und John McEnroe für deren Legendenmatch am Rothenbaum spielfähig gemacht.

Die Fans wundern sich oftmals, wie schnell der Profi nach einer Behandlung auf dem Platz vom toten Mann zum Sprinten kommt? Hast du Wunderhände?

Ich habe sicherlich keine Wunderhände. Jedenfalls ist mir das noch nicht bekannt. In solchen Fällen ist es oft so, dass der Spieler einen heftigen oder einschießenden Schmerz verspürt, den er vorher noch nie gespürt hatte, und es von außen so aussieht, als ob er das Spiel vielleicht nicht weiter fortsetzen könne. Wenn es sich z.B. „nur“ um einen eingeklemmten Nerv in der Wirbelsäule oder einen zugemachten Muskel handelt, und wir eine schwerwiegende Verletzung ausschließen können, kann man diese mit speziellen manuellen Techniken schnell beheben. Für den Laien mag es dann vielleicht anders rüberkommen. Es kann aber auch sein, dass man vor Ort nicht sicher sagen kann, wie sehr sich ein Spieler verletzt hat und ein MRT als Sicherheit gemacht werden sollte. Wenn der Adrenalin Spiegel gesunken ist, der Spieler zur Ruhe kommt und das MRT oder eine Ultraschallanalyse keine Auffälligkeiten zeigen, kann der Spieler mental ganz anders wieder an sein nächstes Spiel herangehen. Unser Vorteil ist, dass wir auf ein sehr gut aufgestelltes Physio und Ärzte Expertenteam der ATP, aber auch teilweise lokal wie hier in Hamburg, zurückgreifen können, um dem Spieler die bestmögliche Behandlung zu empfehlen. Wie zum Beispiel Dry Needling.

Was bedeutet Dry Needling?

Dry Needling ist eine erfolgreiche Methode, die im Spitzensport, aber auch bei akuten und chronischen Beschwerden bei Hobby Sportlern, eingesetzt wird. Hierbei wird mit einer dünnen Nadel ohne Medikament (deshalb der Name dry = trocken) ganz präzise in den Triggerpunkt gestochen, welcher für die aktuellen Beschwerden verantwortlich ist. Dry Needling ist in unserer Praxis so gut wie einzigartig in Hamburg. Ein weiterer Vorteil der kleinen Nadeln ist, dass sie an Punkte vordringen können, die man mit der Hand oder dem Finger gar nicht erreicht.

Dry Needling wird im Profi Tennis oft angewendet. Yannick ist einer der wenigen, der diese Methode in Hamburg einsetzt. Hierbei werden sterile Einwegakupunkturnadeln ganz präzise in schmerzhafte kleine Muskelverkrampfungen, sogenannte Triggerpunkte, gestochen. Verkrampfungen werden gelöst und die lokale Durchblutungssituation verbessert.

Wie viel Zeit verbringen die TOP 10 mit der Physio täglich?

Das ist natürlich sehr individuell. Da spielen auch wieder Faktoren wie Alter, akute Verletzungen, Zeitpunkt der Saison, Verträge und individuelle Bedürfnisse mit rein. Die meisten Spieler haben einen eigenen Physio. Dann ist die Frage, ob der Physio aktive Trainingseinheiten eines Athletiktrainers oder die Ernährungsberatung übernimmt oder nicht. Wenn der Spieler nicht gerade eine Verletzung hat, wird viel an der Vorbeugung und den Schwachstellen der Spieler gearbeitet. Der ganze Körper wird ständig im Gleichgewicht gehalten, dazu zählen sicherlich alle Arten von aktiven und passiven Mobilisierungen und Dehnungen vor und nach dem Spiel. Auf den Platz selber dürfen nur wir ATP Physios, daher ist es sehr wichtig mit den Physios der Top Spieler eng zusammenzuarbeiten. Wir alle müssen uns stets auf dem neusten wissenschaftlichen Stand halten und absolvieren viele internationale Fortbildungen, um ein hohes Niveau für alle Spieler zu bieten.

Yannick, wir danken dir für den Blick hinter die Kulissen.

Yannick Lambrecht: FUNCTIONAL MED,

PT BHSc MT HP, Dry Needle Therapeut,

Harvestehuder Weg 48, 20149 Hamburg,

Mob. 01577 13 18 183, www.functional-med.de

yl@functional-med.de

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Dr. Carrero: das Schultergelenk