Geschichten aus dem Profileben
“Der Leopard” (von Björn Meinecke)
Wir beleuchten mal einen einflussreichen Faktor dieser Sportart: den Turnierleiter.
Michael Stich, der Turnierdirektor der German Open bis 2019, hatte von einem unrühmlichen Vorgänger auf seinem Posten berichtet, der seine Herrschaft so verstand, dass er die Turnierangestellten in seinem privaten Garten zur Frühjahrsüberholung abkommandierte. Ob er seine Arbeitssklaven, die eigentlich die Tennisplätze an der Rothenbaumchaussee für die Tennisprofis herstellen sollten, als Belohnung für die private Ausbeutung wenigstens einen Tee oder ein Bier gespendet hatte, ist eher unsicher.
Da ich das zweifelhafte Vergnügen hatte, ihn persönlich gut zu kennen, gehe ich davon aus, dass die Jungs ohne irgendeine Belohnung zu dem wahren Ort ihrer Arbeit zurückgefahren wurden. Eindeutig kann man diesen Hamburger Tennisboss zu den schwarzen Schafen der ehrenwerten Gilde der Turnierfürsten zählen.
Es gibt aber noch viel buntere Gestalten in der weiten Welt der selbsternannten Herrscher im Profitennis.
Ein besonders stilvolles Exemplar dieser Gattung wollen wir hier vorstellen. Er ist nicht nur mir in rühmlicher Erinnerung geblieben: überall wo sich die alten Tennishaudegen treffen, kann einer der Spieler oder Coaches eine besondere Episode von dieser schwarzen Eminenz des weißen Sports erzählen.
Ort des Geschehens ist Italien. Nicht der Süden, dem das Vorurteil der Korruption und des Chaos anhaftet, sondern der Norden, der sich mit dem Anspruch seiner hohen Zivilisation und Kultur gern von den armen Brüdern in Kalabrien oder Sizilien abgrenzt. Das Grand Prix Turnier in Mailand wurde von einer beeindruckenden Persönlichkeit, dessen Namen wir aus verschiedenen Interessen nicht veröffentlichen wollen, geleitet.
Hoch aufgeschossen, sein klassisch-römisches Gesicht umrahmt von silber-grauen Locken, stets in eleganten Anzügen der italienischen Modeelite gekleidet, thronte er über den Tenniscourts, die er sich als Betätigungsfeld für die Präsentation seines einzigartigen Charakters ausgesucht hatte. Wer Burt Lancaster im Film „der Leopard“ von Visconti gesehen hat, der hat eine adäquate Vorstellung von diesem Tennisfürsten aus der Lombardei. Der Adelstitel in seinem Namen war selbstverständlich und entsprach komplett seinem Auftreten.
Verlassen wir für einen Augenblick diese schillernde Figur und gehen wir näher auf die Umstände ein, die eine Nebenrolle in der darzustellenden Tragikomödie spielen. Am Vorabend des bedeutenden Turniers hatten sich die Spieler im offiziellen Turnierhotel eingefunden und saßen in verschiedenen Gruppen in dem eigens für sie eingerichteten Saal beim Abendessen.
Plötzlich öffnete sich die Tür geräuschvoll und ein junger deutscher Spieler, der aufgrund seiner hohen Weltranglistenposition für das Hauptfeld qualifiziert war, trat mit fröhlichem Gesicht ein. Er gesellte sich zu dem Tisch der anderen deutschen Hauptfeldteilnehmer und gab sofort den Grund seiner Fröhlichkeit kund: Er hatte zu dem Sonderpreis, den ein luxuriöser deutscher Automobilhersteller den Topspielern der deutschen Rangliste gewährt hatte, einen neuen Sportwagen erstanden. Von München gestartet, hatte er sich als Ziel seiner ersten Fahrt den Turnierort in Norditalien auserkoren.
Voller Stolz bat er seine Berufskollegen, das Prachtexemplar mit einem Blick aus dem großzügigen Saalfenster zu würdigen. Deutlich sichtbar für jegliches Publikum war der Wagen vor dem Hotelportal von ihm abgestellt worden. Aus Solidarität taten ihm seine Sportsfreunde den Gefallen und bewunderten das Edelmodell, obwohl einige es auch schon erworben hatten. Sie hatten es aber zu Hause stehen lassen, um etwaige Diebstähle oder Einbrüche zu vermeiden.
Das war wohl bedacht, wie der nächste Tag zeigen sollte. Um auch anderen Passanten die Bewunderung seines Sportwagens zu ermöglichen, ließ der Tennisprofi ihn auch über Nacht an diesem auffälligen Ort stehen. Als am nächsten Morgen die Frühaufsteher schon beim Frühstück im Hotel zusammensaßen, ging die Saaltür auf und ein Spieler der deutschen Delegation tauchte in der Öffnung auf. Unverschämt grinsend machte er die anderen Spieler auf ein Geschehen außerhalb des Saales aufmerksam: „Schaut mal aus dem Fenster!“ - der sarkastische Unterton war unüberhörbar. Gesagt- getan. Das sportliche Exklusivfahrzeug war verschwunden. Sofort wurde der Besitzer des Wagens mit dem Telefon geweckt und informiert. Wenige Minuten später erschien dieser in heller Aufregung im Speisesaal, rannte dann zum Hotelportal und suchte verzweifelt, aber vergeblich seinen Wagen in den umliegenden Straßen.
Als der Geschäftsführer des Hotels ihm mitteilte, dass das Auto mit höchster Wahrscheinlichkeit gestohlen sei, ließ er seinen Kopf auf den Tisch sinken und schlug seine Arme um sein Haupt. Ein Bild hoffnungsloser Niedergeschlagenheit. Als er seinen Kopf wieder aufrichtete, verkündigte er, dass er nicht zu seinem Erstrunden-Match antreten werde. Dass er sofort mit dem Zug nach München zurück fahren würde. Seine Kollegen versuchten ihn zu trösten und ihn zum Spielen zu motivieren. Derjenige, der den Diebstahl entdeckt hatte, machte ihm auf eine sehr besondere Art Hoffnung: „Wenn du die vierte Runde erreichst, kannst du dir von dem Preisgeld, das du hier gewinnst, in München sofort wieder den gleichen Wagen kaufen!“
Der Münchner ließ sich überreden und fuhr mit dem Fahrdienst zur Turnieranlage. Als er dort im Turnierbüro dem Direktor sein unglückliches Los schilderte, stand der in voller Würde von seinem schwarzen Ledersessel auf, umschritt den antiken Schreibtisch, nahm den jungen Deutschen huldvoll in seine Arme und tätschelte ihm fürsorglich seinen Hinterkopf. Zurück auf seinen ledernen Turnierthron sprach er gelassen – in italienisch gefärbtem Englisch – die Worte: „Bleib ruhig. Mach dein Spiel. Um das andere werden wir uns kümmern. Du kannst dich auf mich und meine Leute verlassen. Wir werden das in Ordnung bringen. Konzentriere du dich jetzt nur auf dein Match!“
Der junge Deutsche verlor sein Erstrundenmatch. Nachmittags brachte ihn der Fahrdienst zurück in das Spielerhotel. Als der Wagen vor dem Hotelportal stoppte, wartete eine Überraschung auf den Spieler: Exakt auf dem Platz, auf dem ihm sein Neuwagen gestohlen worden war, stand wunderbarerweise sein Gefährt. Blitzblank - wie neu. Der Dreck von der Fahrt nach Mailand war abgewaschen worden. Froh und glücklich rannte der Tennisprofi sofort zum Telefon und ließ sich mit dem Turnierdirektor verbinden, um ihm seinen Dank abzustatten. Nonchalant erwiderte ihm der „Tennis-Leopard“: „Du brauchst dich nicht zu bedanken. Das ist selbstverständlich gewesen. Ich und meine Leute, wir halten unser Wort! Wir müssen uns für den italienischen Nachwuchs entschuldigen: Die schießen schnell über das Ziel hinaus und kennen die Spielregeln noch nicht genau. Jetzt werden sie für ewig verstanden haben…“
Das ist der Stil, die Grandezza eines wahren Fürsten, oder? Dieser Mann hat nicht nur seine Mitarbeiter im Griff – seine Macht weist weit darüber hinaus. Während der deutsche Turnierdirektor seine Turnierangestellten zum eigenen Vorteil ausbeutete, hatte unser verehrter Italiener seine Mitarbeiter sogar zum persönlichen Service
für die Turnierteilnehmer einsetzen können. So soll es sein! Der Wagen war gereinigt worden, die Sorgen waren wie weggewischt und der Turnierdirektor hat seine Hände in Unschuld gewaschen.
Noch einmal: Diese Geschichte ist keine fiktive Erzählung – sie ist eine wahre Episode aus der Realität der internationalen Tennisprofis; natürlich bestimmt durch das besondere italienische Lokalkolorit.
Was mir persönlich am meisten an diesem Intermezzo aus der Welt des Tennissports gefällt, ist das Happy End: Obwohl der deutsche Spieler einen Wagen und ein Match verloren hatte, wurde am selben Tag das gestohlene Fahrzeug auf wundersame Weise wiedergefunden und er hatte darüber hinaus noch einen treusorgenden Paten gewonnen.
„Das Leben ist schön“ heißt ein moderner italienischer Film vom Komiker Benigni – das gilt auch, in besonderer Weise, für das Leben eines Tennisprofis in Italien. (B. Meinecke)