Edwin Kau: das Match meines Lebens

von Dr. Edwin Kau, Kapitän des deutschen Meisters der Herren 55, dem Club a. d. Alster Hamburg.

Dr. Edwin Kau und sein Match seines Tennislebens

Eines vorab: Ich schätze den Chefredakteur/Herausgeber des TennisFan - natürlich die Eleganz seines Spiels, seine sportliche Fairness und seinen Teamgeist (wir spielen seit einigen Jahren zusammen bei Alster). Natürlich mag ich ihn auch als nimmermüden Kritiker von Funktionärsunfug und ganz generell als Mensch; uns verbindet - neben dem Tennissport - die Lust an gutem Essen und danach an dem gemeinsamen Genuss fabelhafter Zigarren, - bei den Getränken muss ich gelegentlich etwas nachhelfen! Mit anderen Worten: Unsere Beziehung wäre mit dem Begriff "freundschaftlich" richtig charakterisiert. Nun heißt ja Freundschaft immerwährende liebevolle Offenheit miteinander. Gelegentlich jedoch muss man das liebevoll weglassen - aber die Offenheit muss bleiben und deshalb: Thies! Bist Du wahnsinnig? Du kreierst für den TennisFan eine großartige neue Rubrik "Das Match meines Lebens" - und konterkarierst dies mit einem Beitrag über Dein eigenes wichtigstes Spiel: Die knappe, vielleicht sogar unverdiente Niederlage gegen eine Ikone des Tennissports, einen Weltstar, einen Spieler, der einen unauslöschlichen Platz in den Annalen des Welttennis innehat. Bist Du irre? Wer soll sich denn nach einem solchen Serienbeginn trauen, dem TennisFan einen Beitrag, z.B. über eine zweite Runde in einem Clubturnier einzureichen, obwohl es das wichtigste Match des Lebens war!? Da muss schon ein Freund in die Bresche springen - deshalb hier meine Geschichte:

Punktspielessen: Das Dessert nach einem Viergänge Menu zusammzustellen, machte Edwin großes Vergnügen. (Foto Gastro Alster)

Ich komme vom Mannschaftssport. Tennis im Team hat mich immer interessiert - individuelles Turniertennis war nie so mein Ding. Das Warten in zugigen Clubhäusern bei Regenwetter zu genießen, dafür reichten mir die Mannschaftspunktspiele völlig. Seit ca. 45 Jahren spiele ich beim Club an der Alster, davon 15 Jahre - lang, lang ist's her - in den 1. Herren. Klar, das kann nicht immer hochklassig gewesen sein.

Vor 30 Jahren wurde ich Jungsenior, so nannte man damals die Altersklasse ab 35. Eines Abends rief mich Heino Meyer an, eine Turnierdirektorlegende in Hamburg, der bis vor kurzem als Ausrichter beim SC Poppenbüttel tätig war. Heino kannte ich über einen Teamkameraden aus meiner Betriebssportmannschaft. Er erklärte mir, dass in wenigen Tagen das Hamburger Ranglistenturnier durchgeführt werde und man noch zwei Spieler benötige, um das Jungseniorenfeld zu komplettieren. Ich hätte doch nun auch das entsprechende Alter, wie es denn wäre?

Ich hatte für den Zeitraum nichts geplant, die Wetterprognose war günstig, deshalb sagte ich spontan zu. Dabei kannte ich weder den Austragungsmodus, noch den Veranstaltungsort (ich vermutete: Poppenbüttel). Mitte der Woche erfuhr ich dann, gegen wen ich spielen sollte - und zwar in Harburg!! Hamburg ist auch im Tennis kein Flächenland. Zum Punktspiel in unteren Klassen, so wie ich es gewohnt war, fuhr man 15 Minuten - und das war's dann! Harburg, südlich der Elbe, ist für den Hamburger Innenstädter schon Diaspora, - verbunden mit dem unbestrittenen Charme des Vorderen Orients. Aufs angenehmste überrascht war ich deshalb, als mein Gegner sich meldete: "Bei Dir (Alster) oder bei mir (Victoria)? Für unser Match müssen wir doch nicht verreisen!" Wir einigten uns auf Victoria, Freitagnachmittag, 15:00 Uhr. Schmidt-L. war in der Hamburger Rangliste auf Position 7 notiert (was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste) - und vermutlich deshalb etwas überrascht, dass er mit 6:2 und 7:5 unterlag. Auch der strahlende Sonnenschein tröstete ihn nur wenig. Meine naive Frage, wie es nun weiter ginge, beantwortete er etwas einsilbig: "Man wird Dich anrufen". An dieser Stelle eine Anmerkung für die Jüngeren: Es gab damals weder Mobiltelefone noch das Internet. Weltweit einsehbare Tableaus: Fehlanzeige! Die Menschen mussten noch miteinander sprechen!

Abends rief mich Heino an. Schon als er sich meldete, bemerkte ich, dass etwas nicht in Ordnung war. Er erklärte mir erstmalig und ziemlich umständlich den Spielmodus: Zunächst Gruppenspiele, dann K.O.-Runde. Und dann kam es: Spielansetzung Samstag 9:00 Uhr in Harburg!! An dieser Stelle war unser Telefonat um gefühlte zwei Minuten ausgesetzt. Gegenseitiges Schweigen. Als ich den Schock verdaut hatte, brach es allerdings mit Macht aus mir heraus: "Du hast mich gebeten, Euer Feld zu ergänzen. Ich helfe Euch und erhalte dafür diesen Straftermin! Seid Ihr noch gescheit?"

Wie Heino verhindert hat, dass ich die Konkurrenz streiche, weiß ich nicht mehr; er hat es geschafft. Ich ahnte nicht, dass das Turniermatch meines Lebens auf mich wartete. Ich wusste nur, wann das nächste Spiel stattfinden sollte, - zumindest glaubte ich das. Samstag, 8:45 Uhr beim HTuHC in Harburg. Strahlender Sonnenschein! Gar nicht so übel in der Diaspora! Zusammen mit einem ebenfalls noch etwas morgenmuffeligen Jungsenior ziehe ich mich um. "Bist Du P?" Antwort: "Nein". Um diese Zeit ist offenbar ein anspruchsvolleres Gespräch nicht herzustellen.

Gegen 9:00 Uhr erscheint jemand von der Turnierleitung. Meine Umkleidebekanntschaft und ich fragen nach unseren Gegnern. Nach hektischer Suche in den Papieren und einigen Telefonaten stellt sich heraus, dass unsere Gegner - beide (!) - auf 10:00 Uhr bestellt sind. Allgemeines Aufstöhnen! Die Sonne scheint immer noch, - nach meinem Eindruck allerdings mit etwas Hohn.

Gegen 9:50 Uhr erscheint P. und entschuldigt sich. Jovial antworte ich: "Alles klar, Du kannst ja nichts dafür. Fehler der Turnierleitung. Zieh Dich um, ich gehe schon auf den Platz."

Als P. um 10:15 Uhr immer noch nicht erscheint, begebe ich mich auf die Suche. Umkleide: Leer. Turnierleitung: Weiß nicht. Ein weiterer Turnierteilnehmer, der ebenfalls um 10:00 Uhr angesetzt war, erklärte mir dann, P. sei mit einem Freund auf die gegenüberliegende HTB-Anlage gegangen und schlüge sich dort ein.

Teamchef Edwin Kau (2. von rechts) führte sein Team vom Club a.d. Alster zur deutschen Vereinsmeisterschaft 2015.

Ich war nicht missvergnügt, ich war stinksauer. Und das ist noch ein Euphemismus. Als P. endlich erscheint, ist unser Verbalaustausch sehr übersichtlich. Ich will dieses Spiel gewinnen - und mein heiliger Zorn soll mir dabei helfen! Ich werde in solchen Situation ruhiger und konzentrierter. Ergebnis im ersten Satz: 6:2. Der zweite Satz wogt hin und her und ich muss bekennen, dass P. im Spiel äußerst fair agiert und keinesfalls von dieser tückischen Augenkrankheit befallen wird, die bei engen Spielständen urplötzlich bei dem einen oder anderen Spieler aufscheint, wenn es um die Entscheidung geht: Ball gut - oder aus? Konzentriert bleiben!! Der Mann ist böse! Der hat dich hier 1 ½ Stunden warten lassen - na gut: Eine halbe Stunde. Wie meist gelingt es mir nicht, das Match mit einem zwingenden Schlag zu beenden. P. spielt nach einer längeren Ralley den Ball mit Vorhand-Cross neben die Linie. Ergebnis im 2. Satz: 7:6. Es ist schön, ein Spiel zu gewinnen, das man unbedingt gewinnen will, Mr. Ropcee. Gegen P., whoever he is. 

Dieses Match wurde nicht im Fernsehen übertragen, es gibt keine Fotos. Es gab auch keine 12.000 Zuschauer, nicht einmal 12. Ein paar verlorene Gestalten standen Ende des zweiten Satzes am Spielfeldrand und nuschelten etwas von Punkten, die P. im Falle einer Niederlage nicht erhalten werde. Der Inhalt dieser Aussagen blieb für mich dunkel - und letztlich völlig uninteressant.

Epilog: Fortsetzung des Ranglistenturniers am Samstag um 15:00 Uhr. K.O.-Runde! Ich erscheine - rechtzeitig! Es nieselt. Ich erkläre meinem Gegner, dass ich bei diesem Wetter nicht zu spielen gedenke. A. erwidert, dass ich nicht streichen dürfe, dies sei ein Affront gegen die HTV-Turnierleitung und würde auch ihn belasten. Schließlich hätte ich die Nr. 7 und die Nr. 1 der Hamburger Rangliste geschlagen. Auf meine Entgegnung, dies sei mir völlig gleichgültig, schaut A. etwas ungläubig; ob er meinen Nachsatz wirklich verstanden hat (wichtig für mich war, dass ich heute Vormittag jemanden besiegt habe, der mich eine halbe Stunde hat warten lassen!), weiß ich nicht. Die Frage, ob ich jetzt die Partie gegen ihn verlieren darf, beantwortete er allerdings mit: "Ja". Es regnet. Klare Niederlage in zwei Sätzen. Das Match meines Lebens war vormittags. Bei Sonnenschein!

P.S.: Natürlich habe auch ich die Geschichte vom Match zwischen den Herren Ropcee und Björn Borg mit Vergnügen gelesen. Aber ich habe das Match meines Lebens gewonnen, falls ich vergaß, dies zu erwähnen.

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Gegner verletzt, Pech für ihn